Biografie

Boulevard von Max Frisch
ID# Eke0277
Verlag
Akte 0
Dekorationen 0
Männer 0
Frauen 0
Kinder 0
Personen 40
Für Österreich: Universaledition 1967 suhrkamp
(siehe auch: Max Frisch Stücke 2 SAM037)
Am Ende des Sammelbandes findet sich das Spiel Biographie, in dem gezeigt wird, wie sich eine Lebensgeschichte aus anscheinenden Banalitäten ergeben kann.
Das Stück spielt auf der Bühne. Der Zuschauer sollte nicht darüber getäuscht werden, daß er eine Örtlichkeit sieht, die mit sicht selbst identisch ist: die Bühne. Es wird gespielt, was ja nur im Spiel über­haupt möglichst ist: wie es anders hätte verlaufen können in einem Leben. Also nicht die Biografie des Herrn Kürmann, die banal ist, sondern sein Verhältnis zu der Tatsache, daß man mit der Zeit un­weigerlich eine Biografie hat, ist das Thema des Stücks, das die Vor­kommnisse nicht illusionistisch als Gegenwärtigkeit vorgibt, sondern das sie reflektiert - etwa wie beim Schachspiel, wenn wir die entschei­denden Züge einer verlorenen Partie rekonstruieren, neugierig, ob und wo und wie die Partie wohl anders zu führen gewesen wäre.
Das Stück will nichts beweisen.
Der Registrator, der das Spiel leitet, vertritt keine metaphysische Instanz. Er spridtt aus, was Kürmann selber weiß oder wissen könnte. Kein Conferencier; er wendet sich nie ans Publikum, sondern assistiert Kürmann, indem er ihn objektiviert. Wenn der Registrator (übrigens wird er nie mit diesem Titel oder mit einem andern angesprochen) eine Instanz vertritt, so ist es die Instanz des Theaters, das gestattet, was die Wirklichkeit nicht gestattet: zu wiederholen, zu probieren, zu ändern. Er hat somit eine gewisse Güte. Das Dossier, das er benutzt, ist nicht ein Tagebuch, das Kürmann einmal geschrieben hat, auch nicht ein Dossier, wie eine Behörde es anlegt; dieses Dossier gibt es, ob geschrieben oder nicht, im Bewußtsein von Kürmann: die Summe dessen, was Gesdtichte geworden ist, seine Geschichte, die er nicht als die einzigmögliche anerkennt. Der Wechsel von Spiellicht und Arbeits­licht bedeutet nicht Wechsel von Illusion und Realität; sondern das Spiellicht zeigt an, daß jetzt eine Variante probiert wird, eine Variante zur Realität, die nie auf der Bühne erscheint. Insofern bleibt das Stück immer Probe. Wenn Kürmann aus einer Szene tritt, so nidtt als Schau­spieler, sondern als Kürmann, und es kann sogar sein, daß er dann glaubhafter erscheint; keine Szene nämlich paßt ihm so, daß sie nicht auch anders sein könnte. Nur er kann nicht anders sein.
Ich habe es als Komödie gemeint.