Familie

Schauspiel von Karl Schönherr
ID# Eke1587
Verlag Hans Pero Bühnen- und Musikverlag
A-1010 Wien, Bäckerstraße 6
Akte 3
Dekorationen 1
Männer 4
Frauen 4
Kinder 2
Personen 10
Bei der Auflösung eines Antiquariats in Wien erstand ich eine Reihe von Erstdrucken der Werke von Karl Schönherr, darunter auch “Familie”, ein Schauspiel in drei Akten aus dem Jahr 1906. Da mir das Werk nicht bekannt war, suchte ich nach klärenden Unterlagen und stieß da-bei zunächst nur auf die Bemerkung, dass es sich bei “Familie” um ein Stück handle, das später, 1913, den Titel “Kindertragödie” erhalten habe. Nun, die beiden Stücke haben etwas miteinander zu tun, das stimmt, aber es sind doch zwei grundverschiedene Werke.
Die Kindertragödie sieht eine Familientragödie aus der Sicht von Kindern. Damit ist es berühmt geworden, durch das Weglassen der näheren Umstände, die zur Tragödie führen. Wir erfahren nicht, warum die Mutter für ihren Liebhaber eine Kerze ins Fenster stellt, welche Rolle der Ehemann bei dem Ehebruch der Frau spielt. Wir vermuten eine Menge, schwimmen als Zuschauer so sehr im Dunkeln wie die Kinder, bzw. die Halbwüchsigen im Spiel, wir werden alleine gelassen. Die radikal reduzierte Sichtweise, der Motivnotstand, ist das Außerordentliche, das “Geniale” an dem Stück.
Und wie unterscheidet sich “Familie” von der “Kindertragödie"? Es geht um eine Familientragödie im gesellschaftlichen Umfeld eines Oberförsters. Während die "Kindertragödie" in einem Milieu mit verwahrlosten Kindern und wirtschaftlich knappen Verhältnissen angesiedelt wird, spielt "Familie" in einem Haushalt, bei dem es an nichts mangellt - außer an Wärme -. Die Familie genießt Ansehen. Der Oberförster eines Grafen galt zu Kaisers Zeiten etwas.
Schönherr erzählt in "Familie" folgende Geschichte: Ein Kind fällt ins Wasser und der Vater, der Oberförster, zögert in den Bach zu springen, um das Kind ans Ufer zu holen. Er sieht die Schaumkronen der Wellen und wird von der Vision einer weiblichen Unheilgestalt gelähmt. Er kann seine Erstarrung nicht näher erklären und gerät über diesen Vorfall insgesamt in Erklä-rungsnotstand gegenüber seiner Frau. Es ist so, als wäre die Geschichte ein Zeichen für etwas, was da nicht stimmt zwischen dem Herrn Oberförster des Herrn Grafen und seiner Frau, die als gut versorgtes Weibchen zusammen mit Hilfskräften auf Stör einen großen Haushalt führt. Das Kind wird aus dem Wasser gerettet, von einem Draufgänger namens Günther. Der hat einen denkbar schlechten Ruf. Er war bei den Soldaten und ist nun dabei, zum bürgerlichen Leben zurück zu finden, was ihm nicht so recht gelingt. Er sei ein liederlicher Mensch ohne Moral, heißt es im Dorf schon lange, und jetzt munkelt man, dass die Oberförsterin ein Verhältnis mit dem Lebensretter ihres Kindes habe. Der Rettungskuss ist tatsächlich “von der Hand zum Mund gerutscht”, meint Günther, und da hat die schöne Försterin ihre Leidenschaft entdeckt, die ihr bei ihrem gatten offenbar abhanden gekommen war. Die Sache wird ruchbar. Schließlich erschießt Henner, der gerettete Sohn den Schwerenöter, nachdem sich der Herr Oberförster auch beim Betrug seiner Frau als so gelähmt erwiesen hat, wie damals, als das Kind ins Wasser fiel. e.s.
Das Textbuch erschien gedruckt in der Cotta´schen Buchhandlung, Stuttgart und Berlin 1906