Die drei Eisbären
Lustspiel
von
Maximilian Vitus
ID# | 145-05 |
Verlag |
Wilhelm Köhler Verlag e.K.
D-81825 München, Rauschbergstraße 3a |
Akte | 3 |
Dekorationen | 1 |
Männer | 4 |
Frauen | 3 |
Kinder | |
Personen |
Die Wirtschafterin Veronika ist krank. Da müssen die drei Haldeneggerbrüder (zwischen 35 und 45 Jahre alt) auch im Haushalt wirtschaften. Ans Heiraten denkt keiner von den Brüdern. Aber eine Frau muß her, denn Hausarbeit ist schwer. Also her mit der Haslocherin! Ein Wetter zieht auf. Donner und Doria. Da liegt ein Kind mit Brief auf der Schwelle, welcher besagt, daß es sich um ein ausgesetztes Kind handelt. Wer hätte sich das gedacht! Kühe melken! Kind füttern, dreifache Vaterbrust schwellen lassen! Schubkarren zum Kinderwagen umbauen! Grießbrei kochen! Heia, Heia singen! Und der Text der Veronika. "Die benehmen sich wie Tanzbären", soll man als Regiebemerkung betrachten. Und wenn dann auch noch der kleine Bär in Windelhosen gespielt wird, ist die Clowneske fertig. Kurz und gut, jetzt taucht die Marlen auf, eine gute Mutter für den Säugling, die selbst den gestandenen Männern wieder Lust aufs Säugen macht, etc. etc. Die Mannsbilder san Bärn. Und die Weiber müssen sie das Tanzen lehren. Also, frisch die Peitsche geschwungen zum Dressurakt in der Manege der Clownerie.
Gehen wir erstens davon aus, daß die Figuren nach dem Willen des Autors keine natürlichen Nachbildungen aus dem Leben sind, sondern irgendwo im Zwischenreich zwischen Narrenhausen und Löwingerbrunn zu Hause sind. Gehen wir zweitens davon aus, daß die maßlose Vergröberung von Eigenschaf- ten das Ziel dieser Art von Lustspielen ist. Gehen wir drittens davon aus, daß Narren auch einmal die Unwahrheit sagen dürfen, weil es hier weder um Wahrheiten noch um Unwahrheiten geht, sondern um eine Narrenweit. Die Weit ist so närrisch, daß wir es längst aufgegeben haben, sie verbessern zu wollen. Wir machen uns über sie lustig, weil wir daran nicht mehr glauben können. Das wäre sehr pessimistisch. Gut, Lustspiele sind pessimistisch. Und es ist ja auch gar nicht die ganze Weit gemeint, sondern nur das Vorurteil über eine Welt. Gehen wir weiter davon aus, bäuerliche Spieler (aber wer ist schon Bauer bei Bauernspielen?), also Spieler aus ländlichen Gegenden kennen das Vorurteil der Städter über das Land und machen sich den Jux, diese Vorurteile den Städtern zu bestätigen. So ist der Spaß, der hier ge- und übertrieben wird, gerechtfertigt.
Es gibt da eine ganz interessante Geschichte aus Amerika. Da schminken sich Schwarze weiß, und in der Schminke verhöhnen sie die Schwarzen. Und jeder weiß, wie das gemeint ist. So sind Dodlkomödien, wie die vorliegende, auf einmal moralisch. aus der Bitterkeit des Verachtet-Seins im Leben, nicht im Zynismus der Selbstbeschimpfung, sondern in der Lustigkeit der Aggression. Hierfür ist ein Spielstil zu finden, der der Löwingerei ganz ähnlich sieht, aber genau das Gegenteil bedeutet. Dieser Spielstil muß sich an der Commedia dell' arte schulen, entlehnt aus dem Stegreifspiel Spontaneität und muß genau wissen, wo mit dem Partner und wo mit dem Publikum zu spielen ist. Es hat über seine eigenen Vorurteile zu lachen. Und vor allem hat man die gewöhnliche Regel, daß mit dem Publikum nicht kokettiert werden soll, zu vergessen. Denn hier wird nur mit dem Publikum gespielt. Das Theater, das die Illusion von Realität auf der Bühne herstellt, ist grundverschieden von dem, was hier geschieht. Diese Art von Theater, die im Volksmund "Gauditheater" heißt, lebt von der Desillusionierung. Es ist der Persiflage und dem Ulk verwandt. Und es kann nur mit ständigem Augenzwinkern gespielt werden; eine moderne Form des Fasnachtsspieles, eine verkehrte Weit, die sich verkehrt gibt, allen Regeln der Schauspielkunst widerspricht, aber das hat perfekt zu geschehen, denn an nichts glaubt das Publikum schneller als an illusionistische Wirklichkeit, die es hier zu zerstören gilt im Dienst der Umkehrung des Verkehrten. "Gauditheater", das bedeutet perfekte Clownerie mit übertriebenen Gesten, choreographischem Verständnis und einer großen Portion "verstellter" Dummheit. Hanswurst und Theaterdonner! Wir haben wieder einmal dort anzufangen, wo die Geschichte der Volkskomödie begonnen hat. Das ist eine Art, in der über die "drei Wipfe" (so nennen die Steirer diesen Bauernschwank) geschrieben werden kann.
Ein anderer Aspekt soll nicht vergessen werden. Die drei etwas zurückgebliebenen Gesellen haben nichts mit sonst oft üblichen "Dorftrottein" zu tun. Sie benehmen sich wie Kinder in Mannsgestalt und tragen den Widerspruch zwischen dem, was sie sein sollten, und dem, was sie geblieben sind, für alle sichtbar mit sich herum. Der erkennbare Widerspruch ist es, der uns lachen macht und der das Hauptinteresse dieses Stückes ist. Wir lachen wie beim Kasperltheater nicht über die Dummheit und Zurückgebliebenheit, sondern über die Widersprüche, über das Mißverhältnis zwischen dem, was die drei eigentlich sein müßten, nämlich erwachsene Kerle, und dem, was sie sind. Befreit lachen wir, weit in jedem von uns etwas "Zurückgebliebenes" lebt, das nicht zu unserer Rolle in der Gesellschaft paßt. Wir verdrängen es, um uns anzupassen, anstatt es auszugeben, um es dann ablegen zu können. Das Theater ist hierfür eine Ersatzhandlung mit therapeutischer Wirkung. Für die Geschichte des Volksschwankes ist das Stück ähnlich wie die "drei Dorfheiligen" ein historisches Dokument.
Aus der lnteressenslage des Verlages hört sich die Einordnung wie folgt an: "Schon fast zum Symbol des bayerischen Bergbauern sind diese drei herben Bauerntypen mit der kindlich weichen Seele geworden, die Vitus in seinem Erfolgsschlager so vortrefflich charakterisiert hat.
Eine umfangreichere Analyse der Stückes im Verhältnis zu den "Dreierfiguren im Volksstück" ist in der Nord-/Osttiroler Ausgabe des "Darstellenden Spieles in Tirol" Nr. 4/91 zu finden. Dort wird auch näher auf die sozialpsychologischen und historischen Aspekte eingegangen. Bedeutend dabei ist vor allem, daß sich die drei Eisbären aus Gründen der fehlenden "Autorität" gegenseitig behindern und aus Angst vor Persönlichkeitsentwicklung demokratisches Verhalten mißverstehen. Insoferne ist das Stück (samt den ihm verwandten Texten) nicht nur eines der erfolgreichsten Volksschwänke, sondern auch eines, dessen kritischer Hintergrund bislang völlig unerkannt blieb.
Darstellendes Spiel Dezember 1991: Die drei Eisbären von Maximilian Vitus und ähnlich Schwänke Zum Spielleiterseminar über das Streichen in Schwaz
Fünfundzwanzig Spielleiter aus dem Unterland sind im November dem Ruf nach Schwaz gefolgt. um einen weiteren Streichkurs zu besuchen.
Die alten Leiden ungekürzter Texte und dreistündiger Schwankaufführungen sollen behoben werden. In der Kürze liegt die Würze. Nach dem vorletzten Kurs am Beispiel von .. „Rendezvous im Bauernkasten" gab es drei Inszenierungen mit durchschlagendem Erfolg in Gallzein. und Wenns und sogar in St. Josef (Stmk) und es gab ein weniger gutes Beispiel der Breinößlbühne, wo keine Lehren aus den Schwazer Beispielen gezogen worden waren.
Es folgte ein weiterer Kurs mit den .. Drei Eisbären" von Maximilian Vitus. Das Stück gehört zu den Standardschwänken im Repertoire des Volkstheaters. Es lebt von der "Situation". Und wenn auch das Spiel realistisch sein soll, lässt sich durch Striche unmissverständlich klarstellen. dass es sich bei den Figuren um reine Theaterfiguren handelt und nicht um realistische Charaktere. Schwank ist Schwank und dient der Unterhaltung. Dass er dabei aber nicht unkritisch sein muss, viel daran zu entdecken ist, und dass es sich lohnt, mehr über ihn zu wissen, sollte das Einführungsreferat beweisen, das hier auszugsweise wiedergegeben wird.
In Filmen und Theaterstücken ist die Doppelung von Hauptfiguren ("Dick und Doof" usw.) ein durchaus bewährtes Muster von Gegensatztypen. Auf dem Gebiet der Kleinkunst begegnen wird dieser dramaturgischen Technik in Form der "Doppelkonference". Demnach entzündet sich die Handlung an den Widersprüchen, die sich aus der Verschiedenartigkeit dieser Figuren ergeben. Eher selten finden sich "Dreierfiguren" in der dramatischen Literatur. Bei Dialogen zwischen einem Dummen und einem Gescheiten, zwischen einem Kleinen und einem Großen, einem Schüchternen und einem Filou, zwischen Bauer und Knecht usw. ist das Publikum leicht neugierig zu machen und die Spannung ergibt sich mühelos aus den gegensätzlichen Standpunkten der sichtbar und hörbar unterschiedlichen Gesprächspartner. Bei Dreierfiguren ist es nicht so leicht, das Publikum neugierig zu machen.
Die Dramaturgie des Volkstheaters scheint sich allerdings über solche Grundmuster bewährter dramatischer Mittel hinwegzusetzen, zumindest gibt es eine ganze Reihe von Schwänken, die Dreifachfiguren zu Hauptrollenträgern macht. Das beginnt schon beim klassischen Volksschwank.
Die drei Handwerkertypen in Nestroys "Gewürzkrämerkleeblatt" sind das beste Beispiel hierfür. Auffällig ist aber besonders die enge Verwandtschaft der ländlichen Schwänke: "Die drei eisernen Junggesellen" von Hans Lellis. "Die drei Dorfheiligen" von Max Neal/Max Ferner, "Die drei Eisbären" von Maximilian Vitus, "Die drei Dorftratschen" von Vulmar Lovisoni" und "Das Herz am rechten Fleck", die Anlass genug sind, sich über die "Dreierfiguren" den Kopf zu zerbrechen. Zunächst ist festzustellen, dass es viele Märchen gibt, in denen zum Beispiel von drei Schwestern die Rede ist, die um des Vaters Erbe streiten ("Die drei Schwestern" heißt auch ein Stück von Tschechow, das aber mit dem Umstand. der hier untersucht werden soll, nichts zu tun hat. Anders verhält es sich bei Shakespeares "Sturm", ein Stück, das auf die entsprechenden Märchenmotive zurückgeht.) Von der väterlichen Autorität scheinen sie zwar gleich behandelt zu werden, aber sie sind noch jung und eben erst dabei, ihre persönlichen Eigenarten zu entwickeln. In Bezug auf die Volksschwänke ist das aus mehreren Gründen von Bedeutung, weil sich unsere Dreierfiguren, auch wenn sie als erwachsene Menschen auftreten, so unreif benehmen wie Kinder, denen Vater und Mutter fehlen. Das heißt, sie bilden eine Symbiose und sind in ihren Charaktereigenschaften noch nicht ausgeprägt. Allesamt suchen sie nach einem Ersatz für die fehlende elterliche Autorität. Wie es ihnen dabei ergeht, davon handeln unsere Geschichten. Das macht sie auch von den vergleichbaren Märchen verschieden, denn dort tritt die natürliche Autorität in Erscheinung, wobei sich die drei Kinder entweder als "böse" oder "gute" Kinder erweisen, die entsprechend das Erbe antreten oder nicht. In der alten Welt des Volkstheaters ist das kein Thema. Die Erbfolge im bäuerlichen Betrieb ist traditionell geregelt. Der Älteste erhält den Hof, und dieser wird gewöhnlich nicht geteilt. Unsere Dreierfiguren unterlaufen dieses alte Gesetz. In den "drei Eisbären" sorgen die Brüder sogar dafür, dass nur ja keiner heiratet. Denn mit der Aussicht auf Kinder von einem der drei wären die anderen beiden zu „Weichenden“ oder zu Knechten am eigenen Hof verdammt. Darin liegt aber auch schon der Witz des Stückes, in ihrem vergeblichen Versuch einer Lösung, die anders aussieht als das hierarchische Muster der Erbfolge. Sie wollen alle drei gleich bleiben und das können sie nur (so glauben sie) unter der Bedingung, dass sich von ihnen keiner heraushebt oder sich seinen Neigungen entsprechend entwickelt. Sie halten sich gegenseitig kurz und wachen darüber, dass nur ja keiner erwachsen wird. Diese Art der "künstlichen Kindlichkeit" lässt sie uns als "Zurückgebliebene" erscheinen, zurückgeblieben im doppelten Sinn. Sie sind geistig einfältig und von ihren Eltern hilflos zurückgelassene Kinder. Sie sind dabei aber durchaus keine "Dorfdeppen", sondern Narren, die sich dem Muster der bäuerlichen Hierarchie entziehen wollen und letztlich an der Einseitigkeit bäuerlicher Erbfolge Kritik üben, die es nur einem der Kinder erlaubt, sich zum "Herren" über die anderen zu entwickeln. Lieber wollen sie alle drei "Zurückgebliebene" bleiben, dafür aber gleich sein, als dass einer des anderen Knecht wird. Wenn einer ausbricht. wäre die Gleichheit ihrer abhängigen Gemeinschaft gefährdet. Sie wollen weder, dass einer von ihnen heiratet noch das einer eine Schule besucht und einen Beruf erlernt und zum Beispiel in die Stadt zieht.
Warum eigentlich? Behindern sie sich nicht gegenseitig? Sind sie argwöhnisch auf jeden, der auch nur in Ansätzen aus ihrer "Gemeinschaft von Gleichrangigen" ausbricht? Genau so ist es. Sie entziehen sich jeder Art von Wettbewerb, der auf soziale Ungerechtigkeit hinausläuft. Sie empfehlen zwar jeweils den anderen, sich um eine Frau umzusehen, aber so ganz ernst ist es ihnen um solche Empfehlungen nicht. Warum verharren sie in ihrem Zustand der kindlicher Abhängigkeit und selbst gewollter Unmündigkeit? Wir könnten uns zwar darauf einigen, dass diese drei Typen eben ein wenig "zurückgebliebene Naturen" sind, so wie es ja im Volksstück zahlreiche „Deppen“ gibt. Aber diese Antwort ist, wie in solchen Fällen immer, unbefriedigend, wenn nicht überhaupt unmoralisch. Letztlich steht die Auslegung eines Volksschwankes immer vor der Entscheidung, ob seine Figuren als unverbesserliche, zurückgebliebene Wesen behandelt werden sollen, oder ob ihnen Entwick-lungsfähigkeit zugesprochen wird. Suchen wir nach einer Erklärung, die uns Schlüssel und Leitfaden der Inszenierung sein kann. Ich sage: sein kann. Denn hier beginnt die persönliche Interpretation, und die Einsicht. dass es dabei keine "allgemein gültigen" Erklärungen gibt. Ich neige dazu, die "Dreierfiguren" unter dem Gesichtspunkt ihrer Angst vor Veränderungen ihres Lebens zu sehen. Ich gehe davon aus, dass den dreien der Vater fehlt und dieser ebenso wie die Mutter zu früh gestorben ist und die drei Kinder sich ängstlich aneinanderketten, ohne je die Aufmunterung und Möglichkeit der Entwicklung zur Eigenständigkeit erhalten zu haben. Sie sind sozusagen ein "Rudel", das sich einen Leithammel sucht.
Wie verhalten sich Wesen in einem Rudel? Das muss die Frage sein und verzichten können wir darauf, den Gestalten irgendwelche Charakterzüge zu geben, die weder im Stück vorgesehen sind, noch überhaupt notwendig sind, um den Kern des Stückes zu vermitteln. Viel eher sollte die Fantasie dahin ausgerichtet sein, dem Publikum das "Rudeldasein" der drei Geschwister vorzuführen. Wenn einer von ihnen Gefahr wittert, läuft das Rudel dem Erschrockenen nach. Sie wachen gemeinsam auf, essen und arbeiten, ohne dass sich dabei einer zu weit vom anderen entfernt. Vielleicht ziehen sie sich auch gleich an, um "nicht aus der Reihe zu tanzen" und sie haben ihre Gewohnheiten aneinander angeglichen. Sie leben überhaupt eingebunden in Rituale und handeln mehr nach ihrem Instinkt denn aus Überlegungen heraus, etwa nach dem Motto: "So war es schon immer, und so soll es auch bleiben." Ich hielte es durchaus nicht für absurd, wenn zum Beispiel der Platz des Vaters am Mittagstisch nicht von einem der drei besetzt werden darf. Für sie stammen Rituale (welche sich auch immer denken lassen) aus einer Zeit der Anwesenheit der Eltern, bzw. vor allem des Vaters, der fehlenden Autorität. Derjenige, der für sie alles bestimmt hatte, ist nicht mehr da, und sie haben von ihm auch nicht lernen können, wie es sich ohne den "Allesbestimmer" leben lässt. Den drei Eisbären geht es so wie den Demokraten nach dem Ersten Weltkrieg, die sich lange nicht daran gewöhnen konnten, dass es keinen Kaiser von Gottes Gnaden mehr gibt. als dessen Untertanen sie sich geborgen fühlten. Sie waren plötzlich alleine gelassen, sich selbst überantwortet und hatten Angst weil sie sich ausgesetzt fühlten. Wenn wir bedenken, dass das Stück "Die drei Eisbären" 1934 erschienen ist. in einem Jahr also, in der die Demokratie zerbrach, bekommt dieser scheinbar so harmlose Schwank plötzlich eine gewaltige sozialhistorische Bedeutung, die wir ihm nie zugemutet hätten. Jetzt mag sich vielleicht so mancher fragen, ob sich dabei nicht der Spaß aufhört. Nein. Im Gegenteil. So bekommt er erst jene Schärfe, die zum "Witz" dazu gehört. e.s.
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Gehen wir erstens davon aus, daß die Figuren nach dem Willen des Autors keine natürlichen Nachbildungen aus dem Leben sind, sondern irgendwo im Zwischenreich zwischen Narrenhausen und Löwingerbrunn zu Hause sind. Gehen wir zweitens davon aus, daß die maßlose Vergröberung von Eigenschaf- ten das Ziel dieser Art von Lustspielen ist. Gehen wir drittens davon aus, daß Narren auch einmal die Unwahrheit sagen dürfen, weil es hier weder um Wahrheiten noch um Unwahrheiten geht, sondern um eine Narrenweit. Die Weit ist so närrisch, daß wir es längst aufgegeben haben, sie verbessern zu wollen. Wir machen uns über sie lustig, weil wir daran nicht mehr glauben können. Das wäre sehr pessimistisch. Gut, Lustspiele sind pessimistisch. Und es ist ja auch gar nicht die ganze Weit gemeint, sondern nur das Vorurteil über eine Welt. Gehen wir weiter davon aus, bäuerliche Spieler (aber wer ist schon Bauer bei Bauernspielen?), also Spieler aus ländlichen Gegenden kennen das Vorurteil der Städter über das Land und machen sich den Jux, diese Vorurteile den Städtern zu bestätigen. So ist der Spaß, der hier ge- und übertrieben wird, gerechtfertigt.
Es gibt da eine ganz interessante Geschichte aus Amerika. Da schminken sich Schwarze weiß, und in der Schminke verhöhnen sie die Schwarzen. Und jeder weiß, wie das gemeint ist. So sind Dodlkomödien, wie die vorliegende, auf einmal moralisch. aus der Bitterkeit des Verachtet-Seins im Leben, nicht im Zynismus der Selbstbeschimpfung, sondern in der Lustigkeit der Aggression. Hierfür ist ein Spielstil zu finden, der der Löwingerei ganz ähnlich sieht, aber genau das Gegenteil bedeutet. Dieser Spielstil muß sich an der Commedia dell' arte schulen, entlehnt aus dem Stegreifspiel Spontaneität und muß genau wissen, wo mit dem Partner und wo mit dem Publikum zu spielen ist. Es hat über seine eigenen Vorurteile zu lachen. Und vor allem hat man die gewöhnliche Regel, daß mit dem Publikum nicht kokettiert werden soll, zu vergessen. Denn hier wird nur mit dem Publikum gespielt. Das Theater, das die Illusion von Realität auf der Bühne herstellt, ist grundverschieden von dem, was hier geschieht. Diese Art von Theater, die im Volksmund "Gauditheater" heißt, lebt von der Desillusionierung. Es ist der Persiflage und dem Ulk verwandt. Und es kann nur mit ständigem Augenzwinkern gespielt werden; eine moderne Form des Fasnachtsspieles, eine verkehrte Weit, die sich verkehrt gibt, allen Regeln der Schauspielkunst widerspricht, aber das hat perfekt zu geschehen, denn an nichts glaubt das Publikum schneller als an illusionistische Wirklichkeit, die es hier zu zerstören gilt im Dienst der Umkehrung des Verkehrten. "Gauditheater", das bedeutet perfekte Clownerie mit übertriebenen Gesten, choreographischem Verständnis und einer großen Portion "verstellter" Dummheit. Hanswurst und Theaterdonner! Wir haben wieder einmal dort anzufangen, wo die Geschichte der Volkskomödie begonnen hat. Das ist eine Art, in der über die "drei Wipfe" (so nennen die Steirer diesen Bauernschwank) geschrieben werden kann.
Ein anderer Aspekt soll nicht vergessen werden. Die drei etwas zurückgebliebenen Gesellen haben nichts mit sonst oft üblichen "Dorftrottein" zu tun. Sie benehmen sich wie Kinder in Mannsgestalt und tragen den Widerspruch zwischen dem, was sie sein sollten, und dem, was sie geblieben sind, für alle sichtbar mit sich herum. Der erkennbare Widerspruch ist es, der uns lachen macht und der das Hauptinteresse dieses Stückes ist. Wir lachen wie beim Kasperltheater nicht über die Dummheit und Zurückgebliebenheit, sondern über die Widersprüche, über das Mißverhältnis zwischen dem, was die drei eigentlich sein müßten, nämlich erwachsene Kerle, und dem, was sie sind. Befreit lachen wir, weit in jedem von uns etwas "Zurückgebliebenes" lebt, das nicht zu unserer Rolle in der Gesellschaft paßt. Wir verdrängen es, um uns anzupassen, anstatt es auszugeben, um es dann ablegen zu können. Das Theater ist hierfür eine Ersatzhandlung mit therapeutischer Wirkung. Für die Geschichte des Volksschwankes ist das Stück ähnlich wie die "drei Dorfheiligen" ein historisches Dokument.
Aus der lnteressenslage des Verlages hört sich die Einordnung wie folgt an: "Schon fast zum Symbol des bayerischen Bergbauern sind diese drei herben Bauerntypen mit der kindlich weichen Seele geworden, die Vitus in seinem Erfolgsschlager so vortrefflich charakterisiert hat.
Eine umfangreichere Analyse der Stückes im Verhältnis zu den "Dreierfiguren im Volksstück" ist in der Nord-/Osttiroler Ausgabe des "Darstellenden Spieles in Tirol" Nr. 4/91 zu finden. Dort wird auch näher auf die sozialpsychologischen und historischen Aspekte eingegangen. Bedeutend dabei ist vor allem, daß sich die drei Eisbären aus Gründen der fehlenden "Autorität" gegenseitig behindern und aus Angst vor Persönlichkeitsentwicklung demokratisches Verhalten mißverstehen. Insoferne ist das Stück (samt den ihm verwandten Texten) nicht nur eines der erfolgreichsten Volksschwänke, sondern auch eines, dessen kritischer Hintergrund bislang völlig unerkannt blieb.
Darstellendes Spiel Dezember 1991: Die drei Eisbären von Maximilian Vitus und ähnlich Schwänke Zum Spielleiterseminar über das Streichen in Schwaz
Fünfundzwanzig Spielleiter aus dem Unterland sind im November dem Ruf nach Schwaz gefolgt. um einen weiteren Streichkurs zu besuchen.
Die alten Leiden ungekürzter Texte und dreistündiger Schwankaufführungen sollen behoben werden. In der Kürze liegt die Würze. Nach dem vorletzten Kurs am Beispiel von .. „Rendezvous im Bauernkasten" gab es drei Inszenierungen mit durchschlagendem Erfolg in Gallzein. und Wenns und sogar in St. Josef (Stmk) und es gab ein weniger gutes Beispiel der Breinößlbühne, wo keine Lehren aus den Schwazer Beispielen gezogen worden waren.
Es folgte ein weiterer Kurs mit den .. Drei Eisbären" von Maximilian Vitus. Das Stück gehört zu den Standardschwänken im Repertoire des Volkstheaters. Es lebt von der "Situation". Und wenn auch das Spiel realistisch sein soll, lässt sich durch Striche unmissverständlich klarstellen. dass es sich bei den Figuren um reine Theaterfiguren handelt und nicht um realistische Charaktere. Schwank ist Schwank und dient der Unterhaltung. Dass er dabei aber nicht unkritisch sein muss, viel daran zu entdecken ist, und dass es sich lohnt, mehr über ihn zu wissen, sollte das Einführungsreferat beweisen, das hier auszugsweise wiedergegeben wird.
In Filmen und Theaterstücken ist die Doppelung von Hauptfiguren ("Dick und Doof" usw.) ein durchaus bewährtes Muster von Gegensatztypen. Auf dem Gebiet der Kleinkunst begegnen wird dieser dramaturgischen Technik in Form der "Doppelkonference". Demnach entzündet sich die Handlung an den Widersprüchen, die sich aus der Verschiedenartigkeit dieser Figuren ergeben. Eher selten finden sich "Dreierfiguren" in der dramatischen Literatur. Bei Dialogen zwischen einem Dummen und einem Gescheiten, zwischen einem Kleinen und einem Großen, einem Schüchternen und einem Filou, zwischen Bauer und Knecht usw. ist das Publikum leicht neugierig zu machen und die Spannung ergibt sich mühelos aus den gegensätzlichen Standpunkten der sichtbar und hörbar unterschiedlichen Gesprächspartner. Bei Dreierfiguren ist es nicht so leicht, das Publikum neugierig zu machen.
Die Dramaturgie des Volkstheaters scheint sich allerdings über solche Grundmuster bewährter dramatischer Mittel hinwegzusetzen, zumindest gibt es eine ganze Reihe von Schwänken, die Dreifachfiguren zu Hauptrollenträgern macht. Das beginnt schon beim klassischen Volksschwank.
Die drei Handwerkertypen in Nestroys "Gewürzkrämerkleeblatt" sind das beste Beispiel hierfür. Auffällig ist aber besonders die enge Verwandtschaft der ländlichen Schwänke: "Die drei eisernen Junggesellen" von Hans Lellis. "Die drei Dorfheiligen" von Max Neal/Max Ferner, "Die drei Eisbären" von Maximilian Vitus, "Die drei Dorftratschen" von Vulmar Lovisoni" und "Das Herz am rechten Fleck", die Anlass genug sind, sich über die "Dreierfiguren" den Kopf zu zerbrechen. Zunächst ist festzustellen, dass es viele Märchen gibt, in denen zum Beispiel von drei Schwestern die Rede ist, die um des Vaters Erbe streiten ("Die drei Schwestern" heißt auch ein Stück von Tschechow, das aber mit dem Umstand. der hier untersucht werden soll, nichts zu tun hat. Anders verhält es sich bei Shakespeares "Sturm", ein Stück, das auf die entsprechenden Märchenmotive zurückgeht.) Von der väterlichen Autorität scheinen sie zwar gleich behandelt zu werden, aber sie sind noch jung und eben erst dabei, ihre persönlichen Eigenarten zu entwickeln. In Bezug auf die Volksschwänke ist das aus mehreren Gründen von Bedeutung, weil sich unsere Dreierfiguren, auch wenn sie als erwachsene Menschen auftreten, so unreif benehmen wie Kinder, denen Vater und Mutter fehlen. Das heißt, sie bilden eine Symbiose und sind in ihren Charaktereigenschaften noch nicht ausgeprägt. Allesamt suchen sie nach einem Ersatz für die fehlende elterliche Autorität. Wie es ihnen dabei ergeht, davon handeln unsere Geschichten. Das macht sie auch von den vergleichbaren Märchen verschieden, denn dort tritt die natürliche Autorität in Erscheinung, wobei sich die drei Kinder entweder als "böse" oder "gute" Kinder erweisen, die entsprechend das Erbe antreten oder nicht. In der alten Welt des Volkstheaters ist das kein Thema. Die Erbfolge im bäuerlichen Betrieb ist traditionell geregelt. Der Älteste erhält den Hof, und dieser wird gewöhnlich nicht geteilt. Unsere Dreierfiguren unterlaufen dieses alte Gesetz. In den "drei Eisbären" sorgen die Brüder sogar dafür, dass nur ja keiner heiratet. Denn mit der Aussicht auf Kinder von einem der drei wären die anderen beiden zu „Weichenden“ oder zu Knechten am eigenen Hof verdammt. Darin liegt aber auch schon der Witz des Stückes, in ihrem vergeblichen Versuch einer Lösung, die anders aussieht als das hierarchische Muster der Erbfolge. Sie wollen alle drei gleich bleiben und das können sie nur (so glauben sie) unter der Bedingung, dass sich von ihnen keiner heraushebt oder sich seinen Neigungen entsprechend entwickelt. Sie halten sich gegenseitig kurz und wachen darüber, dass nur ja keiner erwachsen wird. Diese Art der "künstlichen Kindlichkeit" lässt sie uns als "Zurückgebliebene" erscheinen, zurückgeblieben im doppelten Sinn. Sie sind geistig einfältig und von ihren Eltern hilflos zurückgelassene Kinder. Sie sind dabei aber durchaus keine "Dorfdeppen", sondern Narren, die sich dem Muster der bäuerlichen Hierarchie entziehen wollen und letztlich an der Einseitigkeit bäuerlicher Erbfolge Kritik üben, die es nur einem der Kinder erlaubt, sich zum "Herren" über die anderen zu entwickeln. Lieber wollen sie alle drei "Zurückgebliebene" bleiben, dafür aber gleich sein, als dass einer des anderen Knecht wird. Wenn einer ausbricht. wäre die Gleichheit ihrer abhängigen Gemeinschaft gefährdet. Sie wollen weder, dass einer von ihnen heiratet noch das einer eine Schule besucht und einen Beruf erlernt und zum Beispiel in die Stadt zieht.
Warum eigentlich? Behindern sie sich nicht gegenseitig? Sind sie argwöhnisch auf jeden, der auch nur in Ansätzen aus ihrer "Gemeinschaft von Gleichrangigen" ausbricht? Genau so ist es. Sie entziehen sich jeder Art von Wettbewerb, der auf soziale Ungerechtigkeit hinausläuft. Sie empfehlen zwar jeweils den anderen, sich um eine Frau umzusehen, aber so ganz ernst ist es ihnen um solche Empfehlungen nicht. Warum verharren sie in ihrem Zustand der kindlicher Abhängigkeit und selbst gewollter Unmündigkeit? Wir könnten uns zwar darauf einigen, dass diese drei Typen eben ein wenig "zurückgebliebene Naturen" sind, so wie es ja im Volksstück zahlreiche „Deppen“ gibt. Aber diese Antwort ist, wie in solchen Fällen immer, unbefriedigend, wenn nicht überhaupt unmoralisch. Letztlich steht die Auslegung eines Volksschwankes immer vor der Entscheidung, ob seine Figuren als unverbesserliche, zurückgebliebene Wesen behandelt werden sollen, oder ob ihnen Entwick-lungsfähigkeit zugesprochen wird. Suchen wir nach einer Erklärung, die uns Schlüssel und Leitfaden der Inszenierung sein kann. Ich sage: sein kann. Denn hier beginnt die persönliche Interpretation, und die Einsicht. dass es dabei keine "allgemein gültigen" Erklärungen gibt. Ich neige dazu, die "Dreierfiguren" unter dem Gesichtspunkt ihrer Angst vor Veränderungen ihres Lebens zu sehen. Ich gehe davon aus, dass den dreien der Vater fehlt und dieser ebenso wie die Mutter zu früh gestorben ist und die drei Kinder sich ängstlich aneinanderketten, ohne je die Aufmunterung und Möglichkeit der Entwicklung zur Eigenständigkeit erhalten zu haben. Sie sind sozusagen ein "Rudel", das sich einen Leithammel sucht.
Wie verhalten sich Wesen in einem Rudel? Das muss die Frage sein und verzichten können wir darauf, den Gestalten irgendwelche Charakterzüge zu geben, die weder im Stück vorgesehen sind, noch überhaupt notwendig sind, um den Kern des Stückes zu vermitteln. Viel eher sollte die Fantasie dahin ausgerichtet sein, dem Publikum das "Rudeldasein" der drei Geschwister vorzuführen. Wenn einer von ihnen Gefahr wittert, läuft das Rudel dem Erschrockenen nach. Sie wachen gemeinsam auf, essen und arbeiten, ohne dass sich dabei einer zu weit vom anderen entfernt. Vielleicht ziehen sie sich auch gleich an, um "nicht aus der Reihe zu tanzen" und sie haben ihre Gewohnheiten aneinander angeglichen. Sie leben überhaupt eingebunden in Rituale und handeln mehr nach ihrem Instinkt denn aus Überlegungen heraus, etwa nach dem Motto: "So war es schon immer, und so soll es auch bleiben." Ich hielte es durchaus nicht für absurd, wenn zum Beispiel der Platz des Vaters am Mittagstisch nicht von einem der drei besetzt werden darf. Für sie stammen Rituale (welche sich auch immer denken lassen) aus einer Zeit der Anwesenheit der Eltern, bzw. vor allem des Vaters, der fehlenden Autorität. Derjenige, der für sie alles bestimmt hatte, ist nicht mehr da, und sie haben von ihm auch nicht lernen können, wie es sich ohne den "Allesbestimmer" leben lässt. Den drei Eisbären geht es so wie den Demokraten nach dem Ersten Weltkrieg, die sich lange nicht daran gewöhnen konnten, dass es keinen Kaiser von Gottes Gnaden mehr gibt. als dessen Untertanen sie sich geborgen fühlten. Sie waren plötzlich alleine gelassen, sich selbst überantwortet und hatten Angst weil sie sich ausgesetzt fühlten. Wenn wir bedenken, dass das Stück "Die drei Eisbären" 1934 erschienen ist. in einem Jahr also, in der die Demokratie zerbrach, bekommt dieser scheinbar so harmlose Schwank plötzlich eine gewaltige sozialhistorische Bedeutung, die wir ihm nie zugemutet hätten. Jetzt mag sich vielleicht so mancher fragen, ob sich dabei nicht der Spaß aufhört. Nein. Im Gegenteil. So bekommt er erst jene Schärfe, die zum "Witz" dazu gehört. e.s.
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